Verantwortungsgemeinschaft – viel Lärm um nichts

Die FDP hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker zur Klientelpartei für Besser- und Bestverdiener entwickelt. Damit das nicht zu sehr auffällt, muss hin und wieder mal ein wirtschaftsfernes liberales Projekt präsentiert werden, in dem zum Beispiel klassiche Familienstrukturen überwunden werden. Das heißt jetzt nicht, dass die Liberalen über das Ende des Ehegattensplittings nachdenken würden, das ist mit Christian Lindner nicht zu machen. Stattdessen hat man sich das Projekt „Verantwortungsgemeinschaft“ ausgedacht, laut Justizminister Buschmann „etwas völlig Neues“. Aber mit dieser Aussage verhält es sich wie so oft in der Werbung: Das Gegenteil ist der Fall. Die Qualitätsmedien schert das nicht, es wird fleißig, aber planlos berichtet.

Ein wesentlicher Pfeiler der Idee: Wenn zum Beispiel jemand ins Krankenhaus kommt und nicht mehr selber in der Lage ist, über Behandlung und Maßnahmen zu entscheiden, wer soll es tun? Da will die FDP Menschen außerhalb der Kernfamilie ins Spiel bringen. Jeder soll in der Verantwortungsgemeinschaft autorisiert werden können, also vor allem befreundete Vertrauenspersonen. Klingt nach einer progressiven Idee, gibt es aber längst, und zwar in Form der Vorsorgevollmacht.

Das Thema ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt, viele denken, dass in Krisenfällen zum Beispiel Eheleute im Krankenhaus sofort Auskunft erhalten und in Absprache mit Ärztinnen Entscheidungen treffen können. Das stimmt aber nicht. Erst seit dem Vorjahr gibt es immerhin das Notvertretungsrecht, das in solchen Fällen greift, aber auf sechs Monate befristet ist. Das Entscheidende ist die Vorsorgevollmacht. In den Augen vieler Experten ist sie wichtiger als eine Patientenverfügung.

Dringend notwendig ist sie zum Beispiel bei Patienten, die aufgrund einer Demenz nicht mehr entscheidungsfähig sind oder die an einer tödlichen Krankheit leiden. Hat der Partner – egal ob verheiratet oder nicht – keine Vollmacht, kann er auch nichts bestimmen. Kinder genauso wenig. Stehen dann wegweisende Entscheidungen an, zum Beispiel über den Abbruch einer Behandlung oder eine Verlegung ins Heim, muss ein gesetzlicher Betreuer eingesetzt werden, dessen einzige Aufgabe es ist, im mutmaßlichen Sinne des Patienten zu handeln. Leider dauert es in der Regel viele Wochen, bis ein Betreuer über eine Richterin gefunden und autorisiert ist.

Der Justizminister präsentiert „etwas völlig Neues“, das es schon gibt

Dagegen kann man in einer Vorsorgevollmacht viele Kompetenzen an beliebige Menschen seines oder ihres Vertrauens übertragen, auch an mehrere: von gesundheitlichen Fragen über organisatorische oder finanzielle. In der Regel reicht die Unterschrift von beiden Seiten. Man kann also schon längst Verantwortungsgemeinschaften bilden, sie heißen nur nicht so.

Vor Kurzem hat die Süddeutsche den Plänen der FDP ein großen Artikel gewidmet, die „Vorsorgevollmacht“ taucht darin aber nur ganz am Rande auf. Die drängende Frage, wie die beiden Konzepte zueinander stehen, wird gar nicht gestellt. Für die Autorin Constanze von Bullion ist es viel wichtiger, der Frage nachzugehen, ob mit den Plänen die privilegierte Stellung der Ehe bedroht ist. Womit sie schon auf das Spielchen der FDP hereingefallen ist.

Nun muss man erwähnen, dass die Verantwortungsgemeinschaft noch weitere Elemente haben könnte. Die Pläne sehen etwa vor, dass zum Beispiel Menschen aus dem persönlichen Umfeld zusätzliche Rechte erhalten, die bislang nur für Familienmitglieder gelten, zum Beispiel Freistellungen vom Job, um Zeit für Pflege zu haben, bzw. finanzielle Entschädigungen. Das Problem ist nur: Eine Finanzierung dafür steht in den Sternen. Und bekanntlich ist die FDP eher eine Partei der Haushaltsdisziplin und weniger der Sozialausgaben.

Expertin im Studio: eine FDP-Politikerin, die sich nicht auskennt

Groß berichtet hat auch WDR 5, es gab einen 45-Minuten-Beitrag mit Zuhörerbeteiligung (hier der Link dazu). Auch hier wird die Gesetzesinitiative als Epochensprung präsentiert und viel Bohei um eine Neuerung gemacht, die es längst gibt. Im Studio sitzt normalerweise eine Moderatorin zusammen mit einer Expertin, die dann die Kommentare der Anrufer einordnet. In diesem Fall gab es bei der Expertin aber zwei Probleme: Ria Schröder war als am Gesetzesvorhaben beteiligte FDP-Politikerin nicht ganz unabhängig. Und sie war schlecht vorbereitet.

Es dauerte eine Weile, bis sich eine Hörerin mit dem Einwand zu Wort meldete, das Vorhaben sei überwiegend überflüssig: „Es gibt ja schon die Vorsorgevollmacht.“ Nun stellte sich heraus, dass Ria Schröder, die angeblich an der Entstehung des neuen Gesetzes beteiligt ist, über die Vorsorgevollmacht schlecht informiert ist („Ich bin keine Medizinrechtlerin“). Sie weiß gar nicht, was man damit alles regeln kann. Eigentlich grotesk. Vermutlich wird es der Karriere der fotogenen Nachwuchspolitikerin (2018-2020 Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen) aber nicht schaden.

Übrigens würde sich mit der Verantwortungsgemeinschaft doch etwas ändern. Laut SZ müsste man sich die entsprechende Vereinbarung in jedem Fall von einem Notar oder einer Notarin beurkunden lassen (Bei der Vorsorgevollmacht ist das nur notwendig, wenn man Kompetenzen übertragen will, die sich auf Immobilienbesitz beziehen). Über diese Neuerung würde sich bestimmt eine Berufsgruppe freuen, die üppige Honorare für ihre Dienstleistungen veranschlagt – und laut einem verbreiteten Klischee gern die FDP wählt.

2 Gedanken zu „Verantwortungsgemeinschaft – viel Lärm um nichts

  1. hANNES wURST

    Deine interessante Analyse konzentriert sich auf die sozialmedizinischen Aspekte der Verantwortungsgemeinschaften und richtig: mit Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten gibt es schon Lösungen für den Notfall, die den Gang zum Notar einsparen.

    Wenn die Verantwortungsgemeinschaft jedoch weitreichende Verfügungen (zum Beispiel auch über Vermögenswerte) erlaubt, dann würde die Möglichkeit einer einfachen Unterschriftenbeglaubigung (oder gar einer Willensbekundung wie beim Organspendeausweis) einem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Ein Notariat ist schließlich nicht NUR zum Gelddrucken da, sondern soll auch unabhängig aufklären und ungültige oder unsittliche Verträge verhindern.

    Eine Lösung wäre vielleicht, die Notariatskosten in irgendeiner Form umzulegen, z.B. wie bei einer Eheschließung, die soviel ich weiß um die 150€ kostet und sicherlich nicht den Kostenapparat der Standesämter deckt.

    Das FDP Bashing finde ich in diesem Fall eigentlich Fehl am Platz.

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    1. misterpfleger Autor

      hANNES wURST, deinen Kommentar bekomme ich komischerweise jetzt erst angezeigt. Ich muss aber widersprechen, deine Betrugsbefürchtungen finde ich überzogen. Man kann ohne Notar sehr viele Verträge abschließen, die Unsummen betreffen und nur eine Unterschrift verlangen, auch ein Testament. Ich bleibe dabei, dass die Pläne in weiten Teilen heiße Luft, also Symbol- und Imagepolitik sind.

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