Die Mogelpackung „Generalistische Ausbildung“

Nach meiner Ausbildung hat es wieder eine Reform gegeben, die „generalistische Ausbildung“ wurde eingeführt. Ich bin sehr froh, dass ich das nicht mehr erleben musste. Bisher war es so: Die Altenpflegeausbildung war selbstständig. Kranken- und Kinderkrankenpfleger dagegen sind gemeinsam in den schulischen Teil der Ausbildung gestartet, die Praxis war natürlich getrennt. Vor dem dritten Jahr wurde auch der schulische Teil aufgespaltet.

Die wesentliche Veränderung der generalistischen Ausbildung ist nun, dass Kranken- und Altenpflege zusammengefasst werden. Das soll angeblich den Beruf attraktiver machen, die Bezahlung verbessern, die Qualität der Ausbildung erhöhen und die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Meiner Ansicht nach sind sämtliche Argumente vorgeschoben und falsch.

Ich sehe das Thema vor allem aus der Perspektive der Krankenpflege. Und da kann die Reform nur zu einer Verwässerung führen. Schon jetzt sind die drei Jahre vollgestopft mit Themen. Im praktischen Teil gibt es Außeneinsätze in Psychiatrie, ambulanter Pflege, Altenheimen, Behindertenpflege. In der Schule werden neben medizinischen viele weitere Themen behandelt: rechtliche Fragen, Geschichte der Pflege, Fragen der Dienstplangestaltung, Kommunikation, häusliche Pflege, Demenz, Behinderung. Wer jetzt zusätzlich in nennenswertem Umfang die Altenpflege reinpacken will, muss vorher beim bisherigen Lehrplan die Axt anlegen. Ich frage mich, was da alles rausgestrichen wurde. Und wie man das als Qualitätsgewinn verkaufen kann.

Ich habe in der Ausbildung eine relativ gute Bezahlung erhalten, schon im ersten Jahr gut 1000 Euro netto. Das konnte man von der Altenpflege weniger behaupten, vor allem nicht in einigen Bundesländern, in denen während der drei Jahre ein Schulgeld verlangt wurde. Das war in der Tat ein Problem, und man hätte schon längst etwas dagegen unternehmen müssen. Grotesk wird es aber, wenn man behauptet, man müsse deshalb Altenpflege und Krankenpflege zusammenlegen.

Dann ist da noch das angebliche Argument der Berufsaussichten. Ein Blogger schreibt dazu: „Wer sich im neuen Berufsbild der Pflegefachfrau bzw. des Pflegefachmanns ausbilden lässt, hat beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“ Dazu kann ich nur sagen: Ich habe auch beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt, ich kann mir aussuchen, wo ich arbeiten will. Mit der Ausbildung als Krankenpfleger könnte ich zum nächsten Ersten in vielen anderen Kliniken, bei ambulanten Pflegediensten, in der Behindertenhilfe, bei Zeitarbeitsfirmen oder in der Psychiatrie anfangen. Und natürlich in jedem Altenheim. Die könnten ihr Glück kaum fassen, wenn ein fähiger Krankenpfleger mit Berufserfahrung sich bei ihnen bewerben würde. Mit andern Worten: Aus Sicht der klassischen Krankenpflege ist das Argument der tollen Berufsaussichten für die neuen Pflegefachfrauen und -männer kompletter Blödsinn. Es herrschten ja angesichts des Pflegenotstands vorher schon paradiesische Zustände.

Was war also der wahre Grund für die Zusammenlegung der unterschiedlichen Ausbildungen? Ich kann da nur mutmaßen. Aus Sicht der Altenpflege stellt sich die Sache schon anders dar. Die Bezahlung ist schlechter als im Krankenhaus, der Personalmangel noch größer. Man liest ja horrende Geschichten aus manchen Pflegeheimen, nicht nur im Zusammenhang mit Corona. Woher sollte also die Motivation für fähige und motivierte junge Menschen kommen, sich für eine Ausbildung in der Altenpflege zu entscheiden? Gleichzeitig wird der Bedarf weiter rasant ansteigen, die demografische Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Ähnlich sieht es wohl in der ambulanten Pflege aus, die sich überwiegend um alte Menschen kümmert, die zu Hause allein nicht mehr klarkommen. Auch die hat in der neuen generalistischen Ausbildung stärkeres Gewicht erhalten. Deshalb scheint mir dieser Gedanke plausibler: Die Reform der Ausbildung sollte vor allem dazu dienen, die Altenpflege attraktiver zu machen. Die Krankenpflege hat gar nichts davon, im Gegenteil. Aber das will so natürlich niemand sagen.

2 Gedanken zu „Die Mogelpackung „Generalistische Ausbildung“

  1. hANNES wURST

    Ich habe keine Ahnung von den Qualifikationsunterschieden von Alten- und Krankenpflegenden, ich stelle mir vor, dass die Altenpflege weniger medizinisch und mehr sozial geprägt ist. Ich denke, die generalistische Ausbildung könnte auch Chancen haben. Ganz allgemein bedeutet eine abnehmende Spezialisierung, dass Angebot- und Nachfrage im Pflegebereich besser übereinkommen können. Durch eine Anpassung des Lohnniveaus können mehr Menschen dorthin gelockt werden, wo man sie dringend braucht. Der Arbeitnehmer hat außerdem mehr Möglichkeiten, sich beruflich zu verändern. Die Frage ist aber, wie viele Inhalte in einer generalistischen Ausbildung auf der Strecke bleiben und dann zu weniger qualifiziertem Personal führen. Vielleicht sollte man die generalistische Ausbildung noch weiter treiben, 3 Jahre: Pflegeexamen, eine Art Bachelor. Noch 3 Jahre: Master = Approbation, Noch 5 Jahre = Hirnchirurg. So können auch Ärzte in der Pflege arbeiten, wenn der Markt es verlangt.

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  2. Pingback: Aus „Schwester Gabi“ wird „Gabi Müller (M.A.)“ | Pflegeblog

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