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Arztserie „In aller Freundschaft“ – zwischen reaktionär und neoliberal

Ich schaue normalerweise keine Krankenhausserien. Als ich vor einiger Zeit mal mit Corona zu Hause festhing, zappte ich ein bisschen durch die Mediathek und stieß beim MDR auf „In aller Freundschaft“. Zufällig landete ich bei Folge 852, mit dem originellen Titel „Ehrlich währt am längsten“. Ich habe es nicht zur letzten der 45 Minuten geschafft, ein Dialog kurz nach Beginn ist mir aber hängen geblieben. Eine junge Anwältin ist unschuldig in einen Verkehrsunfall verwickelt worden, nun wird sie in der „Sachsenklinik“ von Oberarzt Dr. Heilmann untersucht, einem echten Superarzt, kompetent, integer, souverän.

Inzwischen ist auch der Ärztliche Direktor Dr. Stein dazugekommen, noch so ein Musterarzt mit ähnlichen Eigenschaften wie Dr. Heilmann, außerdem noch gutaussehend. Die Patientin hat diese Qualitäten aber noch nicht erkannt, sie hat sich zudem im Gespräch mit dem Arzt schon als misstrauischer Charakter erwiesen. Jetzt ist sie gar nicht damit einverstanden, dass sie zur Beobachtung über Nacht in der Klinik bleiben soll, obwohl sie nur eine winzige Platzwunde an der Augenbraue hat, allerdings anfangs auch Schwindel und Übelkeit. Es entspinnt sich also folgendes Gespräch:

Patientin: „Ach so, ja klar. Da lässt sich nochmal schön kassieren. Ich bin privat versichert, da lohnt sich das ja.“

Dr. Heilmann: „Das ist das übliche Procedere bei einem Schädel-Hirn-Trauma.“

Patientin: „Schon klar, von irgendwas müssen Sie ja Ihre Sportwagen und Ihre Yachten bezahlen.“

Dr. Heilmann lässt das nonchalant stehen und verabschiedet sich. Dr. Stein lehnt sich ironisch lächelnd zur Patientin und sagt, als würde er ein Geheimnis verraten:

„Er hat nur eine Jolle (gedehnte Pause, der Blick der Patientin wandelt sich von Sarkasmus zu schlechtem Gewissen). Und die gehört noch nicht mal ihm.“

In der nächsten Einstellung sieht man dann auch die wirklich sehr bescheidene Jolle von Dr. Heilmann vor einem malerischen Landhäuschen im Wasser schaukeln. (Subtext: Wie konnte die misstrauische Patientin dem Saubermann-Heilmann nur derart Unrecht tun?) Drinnen schauen wir dann der neuen Geliebten des verwitweten Oberarztes zu, wie sie mit verträumtem Blick das Bett aufschüttelt undalles für seine Ankunft und ein romantisches Wochenende vorbereitet. Es ist wie in einem schlechten Heimatfilm der 50er Jahre. Nur schlimmer.

Wir sind nämlich im 21. Jahrhundert. Und da frage ich mich, wer denkt sich solche Dialoge aus. Die ärztliche Entscheidung für die Nacht auf Station kann man ja begründen. Aber im Drehbuch wird daraus eine Grundsatzfrage über das Wesen unseres Gesundheitssystems. Und das wird hier mit billigen dramatischen Mitteln symbolisch reingewaschen. Blütenweiß, oder besser: arztkittelweiß.

Dabei ist völlig unstrittig, dass in den Krankenhäusern finanzielle Überlegungen eine große Rolle spielen, wenn es um die Auswahl der Therapie geht. Knie-Arthroskopien, OPs an Wirbelsäulen, Kaiserschnitte bringen viel Geld. Deutschland steht bei diesen Eingriffen international in der Spitzengruppe, die Zahlen haben in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen. Die Privatisierung, die seit den 80er Jahren immer weiter forciert wurde, bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Die Kliniken stehen unter erheblichem Druck: Geld verdienen oder untergehen. Für viele Ärzte mag das nicht schön sein. Freimachen können sie sich davon aber nicht. Karl Lauterbach hat eine Wende weg von dieser Politik angekündigt. Mal sehen.

Es ist nicht so, dass ein Oberarzt wie Dr. Heilmann mitverdient, wenn eine Privatpatientin eine Nacht länger im Haus bleibt. Ich habe aber schon gehört, dass Kliniken mit Chefärzten Zielvereinbarungen treffen. Wenn sie am Jahresende erfüllt sind, fließt ein Bonus. Insofern ist es doch ziemlich abgeschmackt, wenn im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen Klischees von Halbgöttern in Weiß mit billigen Pointen unters Volk gebracht werden.

Vor Jahren gab es mal einen Riesenskandal um die beliebte Dauerserie „Marienhof“ in der ARD. Erinnert sich noch jemand daran? Es war ans Licht gekommen, dass die ARD bei „Marienhof“ jahrelang käuflich war. Drehbücher wurden so frisiert, dass zum Beispiel der Reiseveranstalter L’Tur verdeckt für sich werben konnte. Ein anderer Fall: Die Serienfigur des Handwerkers Töpper hält ein flammendes Plädoyer für Teppichböden. Wer hat es bezahlt? Die Arbeitsgemeinschaft textiler Bodenbelag. Auch für Erdgasheizungen wurde geworben, damals noch mit ökologischen Argumenten (Wahnsinn, wie schnell die Zeiten sich ändern …) oder für einen EU-Beitritt der Türkei – alles elegant ins Drehbuch eingebaut.

Das habe ich gerade nochmal nachgelesen, in einem Online-Artikel der FAZ von 2005 (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/schleichwerbung-jetzt-hat-die-ard-ihr-watergate-1235094-p2.html). Wenn ich mich richtig erinnere, fielen für Geld auch Sätze in der Art von: „Mensch, du musst unbedingt privat vorsorgen, auf die staatliche Rente kannst du nicht mehr bauen!“ Wer dafür wohl bezahlt hat? Das Schönste an dem FAZ-Artikel ist aber folgender Absatz:

„Dokumentiert ist auch ein Placement-Fall bei der ARD-Ärzteserie „In aller Freundschaft“, hergestellt von der Saxonia Media, einer Tochtergesellschaft der Bavaria. Dort soll es im Zeitraum 2002/03 „in mindestens neun Fällen verbotene Pharmawerbung“ gegeben haben. Drehbuchintegrierte Krankheitsbilder wie Alzheimer, Asthma, Epilepsie, Fatigue Syndrom, Morbus Fabry und Multiple Sklerose seien jeweils Anlass gewesen, um über bestimmte Medikamente oder Wirkstoffe zu  sprechen. Ein internes Planungspapier, das epd medien vorliegt, benennt Episoden, Sendedaten und Pharmakunden, die für bis zu 30.000 Euro pro Folge bedient worden sein sollen.“ Und jetzt: Wieder ein frisiertes Drehbuch? Oder einfach nur ein Beispiel für die Verkommenheit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens?

Und jetzt: Wieder ein frisiertes Drehbuch? Oder einfach nur ein Beispiel für die Verkommenheit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens?

„Wenn Kliniken solide wirtschaften – wunderbar.“ Und wenn nicht?

Karl Lauterbach plant nach eigener Aussage eine Riesenreform im Gesundheitswesen, und will dabei auch weg von der marktwirtschaftlichen Orientierung, die in den vergangenen Jahrzehnten immer dominanter wurde – oft auf Kosten von Mitarbeitern und Patienten. Bis jetzt ist das alles Theorie, der Gesetzesentwurf muss erstmal geschrieben werden. Bis zur Umsetzung ist es noch ein weiter Weg, denn es gibt viele Leute, die das verhindern wollen. Einer davon ist wahrscheinlich Boris Augurzky, Gesundheitsökonom vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, die SZ hat ihn vor Kurzem in einem großen Artikel ausführlich zu Wort kommen lassen.

Der Mann hat laut SZ 2019 an einer Studie der Bertelsmann-Stiftung mitgearbeitet, die forderte, mehr als die Hälfte der Kliniken in Deutschland zu schließen. Jetzt sitzt er in Lauterbachs Expertenkommission. Zur Erinnerung: Die Bertelsmann-Stiftung gehört zum milliardenschweren Bertelsmann-Konzern, der mit ihr gigantische Summen an Steuern spart und massiv Einfluss auf die Politik in Deutschland nimmt. Praktisch jede ihrer Veröffentlichungen wird von den Medien im Lande prominent unters Volk gebracht.

In dem aktuellen SZ-Artikel fand ich folgenden Satz am interessantesten, in dem der Autor Herrn Augurzky zitiert: „Wenn eine Klinik gute Arbeit leiste und solide wirtschafte – wunderbar.“ Das klingt erstmal harmlos und wie eine Aussage, die jeder sofort unterschreiben kann. Aber was bedeutet das eigentlich? Krankenhäuser, die schlecht wirtschaften, werden zugemacht. Das ist dann schon wieder ziemlich weit weg von der hehren Absicht, die Ökonomisierung des Gesundheitswesen zu beenden und entschieden gegenzusteuern.

Es gab mal eine Zeit, da wurden Krankenhäusern die Kosten ersetzt, die anfielen – für Material, Behandlungen, Personal etc. Man musste sich keine Gedanken darüber machen, dass eine Hüft-OP deutlich mehr Geld bringt als eine pädiatrische Station oder ein Kreißsaal. Und in den Kliniken hatten Ärztliche Direktoren mehr zu sagen als Controller. Heute sind Chefärzte zur Schizophrenie gezwungen: die beste Behandlung für ihre Patienten wählen, gleichzeitig möglichst viel Gewinn erwirtschaften – dann gibt es vielleicht am Jahresende zur Belohnung noch einen schönen Bonus. Private Häuser haben einen großen Teil der Kliniken übernommen und wollen Gewinne machen. Das Geld dafür kommt von uns.

Ob Karl Lauterbach hier wohl mit seinen Experten eine Trendwende schafft? Wen das Thema interessiert: Ich mache demnächst ein Interview mit einer Expertin, das hoffentlich bald hier erscheint.