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„Erstmals wird das System infrage gestellt“

Nadja Rakowitz engagiert sich für ein besseres Gesundheitssystem. Sie ist Geschäftsführerin beim „verein demokratischer ärzt*innen“ und engagiert sich im Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“. Mit dem Pflegeblog sprach die Medizinsoziologin über die Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach für eine Reform des Gesundheitswesens – über Widersprüche der bisherigen Äußerungen, wo Deutschland bei der Pflege international „unterirdisch“ abschneidet und wieso die Ärzte heute zwischen den Stühlen sitzen.

Was halten Sie von den Vorschlägen für eine Reform des Gesundheitswesens, wie sie Karl Lauterbach ins Spiel gebracht hat?

Erstmal finde ich interessant, dass die Analyse der bestehenden Probleme eine wirklich neue Qualität hatte. Bei der Vorstellung der Pläne von Lauterbach und drei Mitgliedern der zuständigen Kommission hieß es nicht wie sonst immer: Wir drehen an Stellschrauben. Stattdessen wird erstmals das System infrage gestellt. Das war eine Bankrotterklärung der DRGs, die seit fast 20 Jahren ein Grundpfeiler sind. Das Fallpauschalensystem setzt Fehlanreize, Entscheidungen werden aus ökonomischen Gründen statt aus medizinischen gefällt. Wir brauchen eine dramatische Entökonomisierung, das war der Tenor. Die Überwindung der DRGs wurde angekündigt.

Das klingt nach einem Umdenken.

Das wird man beobachten müssen. Weiterhin grenzten sich Karl Lauterbach und Christian Karagiannidis mehrmals von der Selbstkostendeckung ab, früher hat man das Wort nicht einmal in den Mund genommen. Dabei geht es darum, den Kliniken ihre angefallenen Kosten für das, was medizinisch notwendig ist, 1:1 zu erstatten. Das sind durchaus bemerkenswerte Signale.

Was sind nun die konkreten Veränderungen, die ins Spiel gebracht werden?

Erstens gibt es die organisatorische Idee, die Kliniklandschaft in drei Level aufzuteilen, von kleinen Häusern für die Grundversorgung (Level 1) bis zu großen, hochspezialisierten wie z.B. die Uni-Kliniken. Darüber hinaus werden die Leistungen in einzelne Leistungsgruppen kategorisiert, die Fachabteilungen der Kliniken zugeordnet werden. Das soll gewährleisten, dass bestimmte Behandlungen dort gemacht werden, wo die Versorgung mutmaßlich am besten ist. Nach unserer Ansicht ist das ein starker politischer Eingriff ist, den wir begrüßen. Es gibt aber einen Nebeneffekt, der vielleicht sogar der gewollte Haupteffekt ist: Man kann damit Schließungen von Krankenhäusern begründen, vor allem beim Level I. Kliniken ohne Notaufnahme (Level 1i) könnten schnell unter Druck geraten und als eine Art bessere Pflegeheime enden.

Sie haben die Finanzierung angesprochen, wie sieht es da aus?

Eine vernünftige Finanzierung wäre nach unserer Auffassung dieselbe wie bei der Feuerwehr. Die Kollegen werden dort dafür bezahlt, dass sie abrufbereit sind, nicht nach Einsätzen. Nun wird so getan, als wären wir bei den Kliniken auf dem Weg dorthin, aber das ist ein Etikettenschwindel, die Rede ist von Vorhaltepauschalen über 20 % des DRG-Volumens. Die DRGs sollen also bestehen bleiben, es gibt auch nicht mehr Geld, sondern nur eine andere Art der Verteilung von einem Teil der Erlössumme der Krankenhäuser. Und es gibt wieder ökonomische Kriterien. Beim Pflegebudget, das seit 2020 für Pflege am Bett gilt, ist das anders: Hier wird jede Stelle voll refinanziert. Was allerdings auch schwierig ist in einer ökonomisierten Umgebung und den Druck auf andere Berufsgruppen erhöht, denn Gewinne können ja nur aus den DRGs gezogen werden. Wir sagen stattdessen: Solange die DRGs nicht ersetzt werden durch ein Selbstkostendeckungsprinzip müssen alle Berufsgruppen raus aus den DRGs.

Eine vernünftige Finanzierung wäre nach unserer Auffassung
dieselbe wie bei der Feuerwehr“

Nadja Rakowitz

Die Abkehr von den ökonomischen Zwängen ist bei den jetzigen Plänen also nur halbherzig?

Genau, deshalb brauchen wir ein Selbstkostendeckungsprinzip! Ein Einwand dagegen ist immer, dass man so einen Selbstbedienungsladen schaffe. Das kann man aber mit entsprechenden Kontrollen verhindern. Private Betreiber könnten innerhalb dieses Prinzips sowieso keine Gewinne mehr rausziehen. Die Privaten haben sich schon beschwert, als die Pflege aus den DRGs herausgenommen wurde, weil sie aus der Pflege keine Gewinne mehr ziehen können. Das Problem der DRGs ist: Auch die Nonprofit-Häuser (öffentliche und freigemeinnützige) werden gezwungen, sich wie Private zu verhalten, dem ökonomischen Druck kann sich keiner entziehen.

Sie haben von Widersprüchen in dem Papier gesprochen. Können Sie das näher erläutern?

Das Papier ist voller Widersprüche, z.B. werden die vorgeschlagenen Vorhaltepauschalen sofort wieder infrage gestellt und gesagt: Kann man denn Geld verteilen, wo noch keine Leistung erbracht wurde? Man muss aufpassen, dass nicht wieder falsche Anreize entstehen, das zeigen die Pflegepersonaluntergrenzen von Jens Spahn.

Inwiefern?

Weil unter den aktuellen Konkurrenzbedingungen die Kliniken aktuell ermuntert wurden, Personal abzubauen, wenn sie oberhalb dieser Untergrenzen liegen. Man muss bedenken: Im Vergleich mit andern Ländern steht Deutschland beim Verhältnis Pflegekräfte /Patienten unterirdisch da.

Mit welchen Widerständen ist zu rechnen und durch welche Gruppen?

Die Krankenkassen sind der schärfste neoliberale Akteur. Sie setzen sich für Krankenhaus-Schließungen ein und haben Möglichkeiten, selektive Verträge abzuschließen, womit sie die Kliniken gegeneinander ausspielen. Obwohl sie wissen, dass viele überflüssige Knie- und Wirbelsäulen-OPs gemacht werden. Bei den Krankenkassen hat es eine ähnliche Entwicklung wie bei den Kliniken gegeben, sie wurden von innen heraus verändert und agieren heute auch wie Unternehmen.

Wer sind die Profiteure der Privatisierung der letzten Jahrzehnte?

Es sind vor allem private Krankenhauskonzerne; Private-Equity-Fonds haben sich in diesem Bereich noch nicht so breitgemacht, sie agieren aktuell mehr im Pflegebereich und im ambulanten Sektor. Die privaten Konzerne machen gute Profite mit den Krankenhäusern. Für sie gibt es bislang nicht so viel Grund zur Beschwerde. Die jetzigen Pläne bedeuten allerdings mehr Bürokratie in den Kliniken. Auf der andern Seite glaube ich, der Widerstand der Beschäftigten wird sich fortsetzen. Die Bewegung in der Pflege seit 2015 hat das in Gang gebracht, was wir gerade beobachten. Wenn man sich die Streiks in Berlin oder in NRW für einen Tarifvertrag Entlastung anschaut, sind diese beeindruckend. Es passiert sehr viel.

Wie sehen sie die Rolle der Ärzteschaft? Profitieren nicht Chefärzte vom jetzigen System, wenn sie am Jahresende Boni einstreichen?

Ja, solche Verträge gibt es, in denen z.B. Zielzahlen für bestimmte OPs genannt werden. Aber ich würde die Ärzteschaft nicht zu den Profiteuren zählen. Viele leiden nach meinem Eindruck, weil sie nicht mehr die Hoheit über ihr Tun haben. Jetzt haben sie einen Ökonomen über sich. Das finden Ärzte nicht gut, egal ob sie Linke sind oder Konservative.

„Das Wort Personalmix im Koalitionsvertrag ist verräterisch“

Nadja Rakowitz

Deutschland hat im Vergleich zu Ländern wie den Niederlanden sehr viele Krankenhausbetten pro Einwohner. Warum ist das so?

In Dänemark ist es ähnlich wie in den Niederlanden, aber ich halte das für eine schwierige Diskussion. Es werden auch unterschiedliche Zahlen genannt, die außerdem schwer zu vergleichen sind, weil andere Strukturen unter den Tisch fallen. Dass bei uns zurzeit tatsächlich Betten fehlen, sieht man an den schlimmen Zuständen auf den pädiatrischen Stationen. Man müsste sich die Situation in Ländern wie Dänemark genauer anschauen, ist das gut für die Bevölkerung, welche ambulanten Angebote gibt es dort? Bevor wir von einer Überversorgung sprechen, müssen wir zuerst die Frage klären: Was ist der Bedarf? Der ist im Moment nämlich ökonomisch und damit auch durch Fehlanreize definiert. Wenn die Gesundheitsökonomen und -politiker heute einfach Dänemark zum Maßstab nehmen und von dieser Warte Schließung als Ziel vorgegeben, basiert das auf einfachen Rechenvergleichen zwischen Bevölkerungszahlen und Krankenhauszahlen. So einfach geht das aber nicht. Es gibt sehr viele andere Faktoren, die hier berücksichtigt werden müssen.

Zurzeit wird an einem neuen Instrument für einen bedarfsgerechten Personalschlüssel gearbeitet. Glauben Sie, die Koalition bringt etwas Ernstzunehmendes auf die Beine?

Das Thema halte ich jedenfalls für sehr wichtig. Und man müsste allerdings alle Beschäftigten miteinbeziehen, also auch diejenigen, die in den Kliniken Essen verteilen, Patiententransporte machen usw. Spahn hat gesagt, er wolle nur einen Anstoß geben, die Beteiligten, also DKG, ver.di und der Deutsche Pflegerat, sollen selbst ein Instrument entwickeln. Das haben sie mit der PPR 2.0 auch getan und pünktlich vorgelegt. Dann kam aber Corona und alles wurde verschoben. Nun arbeitet Lauterbach an etwas Neuem. Im Koalitionsvertrag stand allerdings, dass ein „Personalmix“ eingeführt werden müsse – ein verräterisches Wort, das letztlich auf eine Absenkung des Qualifikationsniveaus zielt. Die Privaten arbeiten schon länger daran, ein Stichwort ist der 60/40-Mix, wonach nur noch gut die Hälfte der Pflegenden eine dreijährige Ausbildung hätten.

Andererseits ist viel von Akademisierung in der Pflege die Rede. Wohin glauben Sie geht die Entwicklung?

Dahinter steckt die Idee einer neuen Arbeitsteilung, und die passt zu dem angesprochenen Qualifikationsmix. Auf der einen Seite haben sie dann eine kleine Gruppe Akademisierte, auf der andern Hilfskräfte, die die Arbeit machen. Grundsätzlich ist aber die Idee begrüßenswert, Leuten mit dreijähriger Ausbildung eine akademische Weiterbildung zu ermöglichen und die horizontale Durchlässigkeit zu erhöhen.

Und die Ärzte – schaut man sich die Situation nachts und an Wochenenden in den Kliniken an, bekommt man den Eindruck eines dramatischen Mangels. Auch die Belastung in der fünfjährigen Assistenzarztzeit ist enorm.

Das ist schwer zu beurteilen. Es scheint tatsächlich ein Mangel zu bestehen, obwohl die Zahl der Ärzte in den Kliniken angestiegen war, während die der Pflegekräfte sank. Das liegt zum Teil auch dem Urteil des EuGH zum Bereitschaftsdienst. Ökonomisch erschient es bislang so: Der Arzt „sitzt an der Kasse“, steht also auf der Einnahmen-Seite, weil er geldwerte Diagnostik und Therapie anordnet. Die anderen Beschäftigten-Gruppen verursachen dagegen Kosten. Die Pflegebudgets haben daran etwas geändert, weil dieser Posten nun voll refinanziert wird und deshalb aus der DRG-Betrachtung rausfällt. Heute haben wir mit dem Pflegebudget aber den Anreiz, auch Ärzte einzusparen – deren Leistungen müsste man dann wohl auf die übriggebliebenen Ärzte und die Pflegekräfte verteilen. Helios hat vor einiger Zeit angekündigt, sie wollen 10 % der Ärzte einsparen.

Arztserie „In aller Freundschaft“ – zwischen reaktionär und neoliberal

Ich schaue normalerweise keine Krankenhausserien. Als ich vor einiger Zeit mal mit Corona zu Hause festhing, zappte ich ein bisschen durch die Mediathek und stieß beim MDR auf „In aller Freundschaft“. Zufällig landete ich bei Folge 852, mit dem originellen Titel „Ehrlich währt am längsten“. Ich habe es nicht zur letzten der 45 Minuten geschafft, ein Dialog kurz nach Beginn ist mir aber hängen geblieben. Eine junge Anwältin ist unschuldig in einen Verkehrsunfall verwickelt worden, nun wird sie in der „Sachsenklinik“ von Oberarzt Dr. Heilmann untersucht, einem echten Superarzt, kompetent, integer, souverän.

Inzwischen ist auch der Ärztliche Direktor Dr. Stein dazugekommen, noch so ein Musterarzt mit ähnlichen Eigenschaften wie Dr. Heilmann, außerdem noch gutaussehend. Die Patientin hat diese Qualitäten aber noch nicht erkannt, sie hat sich zudem im Gespräch mit dem Arzt schon als misstrauischer Charakter erwiesen. Jetzt ist sie gar nicht damit einverstanden, dass sie zur Beobachtung über Nacht in der Klinik bleiben soll, obwohl sie nur eine winzige Platzwunde an der Augenbraue hat, allerdings anfangs auch Schwindel und Übelkeit. Es entspinnt sich also folgendes Gespräch:

Patientin: „Ach so, ja klar. Da lässt sich nochmal schön kassieren. Ich bin privat versichert, da lohnt sich das ja.“

Dr. Heilmann: „Das ist das übliche Procedere bei einem Schädel-Hirn-Trauma.“

Patientin: „Schon klar, von irgendwas müssen Sie ja Ihre Sportwagen und Ihre Yachten bezahlen.“

Dr. Heilmann lässt das nonchalant stehen und verabschiedet sich. Dr. Stein lehnt sich ironisch lächelnd zur Patientin und sagt, als würde er ein Geheimnis verraten:

„Er hat nur eine Jolle (gedehnte Pause, der Blick der Patientin wandelt sich von Sarkasmus zu schlechtem Gewissen). Und die gehört noch nicht mal ihm.“

In der nächsten Einstellung sieht man dann auch die wirklich sehr bescheidene Jolle von Dr. Heilmann vor einem malerischen Landhäuschen im Wasser schaukeln. (Subtext: Wie konnte die misstrauische Patientin dem Saubermann-Heilmann nur derart Unrecht tun?) Drinnen schauen wir dann der neuen Geliebten des verwitweten Oberarztes zu, wie sie mit verträumtem Blick das Bett aufschüttelt undalles für seine Ankunft und ein romantisches Wochenende vorbereitet. Es ist wie in einem schlechten Heimatfilm der 50er Jahre. Nur schlimmer.

Wir sind nämlich im 21. Jahrhundert. Und da frage ich mich, wer denkt sich solche Dialoge aus. Die ärztliche Entscheidung für die Nacht auf Station kann man ja begründen. Aber im Drehbuch wird daraus eine Grundsatzfrage über das Wesen unseres Gesundheitssystems. Und das wird hier mit billigen dramatischen Mitteln symbolisch reingewaschen. Blütenweiß, oder besser: arztkittelweiß.

Dabei ist völlig unstrittig, dass in den Krankenhäusern finanzielle Überlegungen eine große Rolle spielen, wenn es um die Auswahl der Therapie geht. Knie-Arthroskopien, OPs an Wirbelsäulen, Kaiserschnitte bringen viel Geld. Deutschland steht bei diesen Eingriffen international in der Spitzengruppe, die Zahlen haben in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen. Die Privatisierung, die seit den 80er Jahren immer weiter forciert wurde, bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Die Kliniken stehen unter erheblichem Druck: Geld verdienen oder untergehen. Für viele Ärzte mag das nicht schön sein. Freimachen können sie sich davon aber nicht. Karl Lauterbach hat eine Wende weg von dieser Politik angekündigt. Mal sehen.

Es ist nicht so, dass ein Oberarzt wie Dr. Heilmann mitverdient, wenn eine Privatpatientin eine Nacht länger im Haus bleibt. Ich habe aber schon gehört, dass Kliniken mit Chefärzten Zielvereinbarungen treffen. Wenn sie am Jahresende erfüllt sind, fließt ein Bonus. Insofern ist es doch ziemlich abgeschmackt, wenn im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen Klischees von Halbgöttern in Weiß mit billigen Pointen unters Volk gebracht werden.

Vor Jahren gab es mal einen Riesenskandal um die beliebte Dauerserie „Marienhof“ in der ARD. Erinnert sich noch jemand daran? Es war ans Licht gekommen, dass die ARD bei „Marienhof“ jahrelang käuflich war. Drehbücher wurden so frisiert, dass zum Beispiel der Reiseveranstalter L’Tur verdeckt für sich werben konnte. Ein anderer Fall: Die Serienfigur des Handwerkers Töpper hält ein flammendes Plädoyer für Teppichböden. Wer hat es bezahlt? Die Arbeitsgemeinschaft textiler Bodenbelag. Auch für Erdgasheizungen wurde geworben, damals noch mit ökologischen Argumenten (Wahnsinn, wie schnell die Zeiten sich ändern …) oder für einen EU-Beitritt der Türkei – alles elegant ins Drehbuch eingebaut.

Das habe ich gerade nochmal nachgelesen, in einem Online-Artikel der FAZ von 2005 (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/schleichwerbung-jetzt-hat-die-ard-ihr-watergate-1235094-p2.html). Wenn ich mich richtig erinnere, fielen für Geld auch Sätze in der Art von: „Mensch, du musst unbedingt privat vorsorgen, auf die staatliche Rente kannst du nicht mehr bauen!“ Wer dafür wohl bezahlt hat? Das Schönste an dem FAZ-Artikel ist aber folgender Absatz:

„Dokumentiert ist auch ein Placement-Fall bei der ARD-Ärzteserie „In aller Freundschaft“, hergestellt von der Saxonia Media, einer Tochtergesellschaft der Bavaria. Dort soll es im Zeitraum 2002/03 „in mindestens neun Fällen verbotene Pharmawerbung“ gegeben haben. Drehbuchintegrierte Krankheitsbilder wie Alzheimer, Asthma, Epilepsie, Fatigue Syndrom, Morbus Fabry und Multiple Sklerose seien jeweils Anlass gewesen, um über bestimmte Medikamente oder Wirkstoffe zu  sprechen. Ein internes Planungspapier, das epd medien vorliegt, benennt Episoden, Sendedaten und Pharmakunden, die für bis zu 30.000 Euro pro Folge bedient worden sein sollen.“ Und jetzt: Wieder ein frisiertes Drehbuch? Oder einfach nur ein Beispiel für die Verkommenheit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens?

Und jetzt: Wieder ein frisiertes Drehbuch? Oder einfach nur ein Beispiel für die Verkommenheit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens?

„Wenn Kliniken solide wirtschaften – wunderbar.“ Und wenn nicht?

Karl Lauterbach plant nach eigener Aussage eine Riesenreform im Gesundheitswesen, und will dabei auch weg von der marktwirtschaftlichen Orientierung, die in den vergangenen Jahrzehnten immer dominanter wurde – oft auf Kosten von Mitarbeitern und Patienten. Bis jetzt ist das alles Theorie, der Gesetzesentwurf muss erstmal geschrieben werden. Bis zur Umsetzung ist es noch ein weiter Weg, denn es gibt viele Leute, die das verhindern wollen. Einer davon ist wahrscheinlich Boris Augurzky, Gesundheitsökonom vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, die SZ hat ihn vor Kurzem in einem großen Artikel ausführlich zu Wort kommen lassen.

Der Mann hat laut SZ 2019 an einer Studie der Bertelsmann-Stiftung mitgearbeitet, die forderte, mehr als die Hälfte der Kliniken in Deutschland zu schließen. Jetzt sitzt er in Lauterbachs Expertenkommission. Zur Erinnerung: Die Bertelsmann-Stiftung gehört zum milliardenschweren Bertelsmann-Konzern, der mit ihr gigantische Summen an Steuern spart und massiv Einfluss auf die Politik in Deutschland nimmt. Praktisch jede ihrer Veröffentlichungen wird von den Medien im Lande prominent unters Volk gebracht.

In dem aktuellen SZ-Artikel fand ich folgenden Satz am interessantesten, in dem der Autor Herrn Augurzky zitiert: „Wenn eine Klinik gute Arbeit leiste und solide wirtschafte – wunderbar.“ Das klingt erstmal harmlos und wie eine Aussage, die jeder sofort unterschreiben kann. Aber was bedeutet das eigentlich? Krankenhäuser, die schlecht wirtschaften, werden zugemacht. Das ist dann schon wieder ziemlich weit weg von der hehren Absicht, die Ökonomisierung des Gesundheitswesen zu beenden und entschieden gegenzusteuern.

Es gab mal eine Zeit, da wurden Krankenhäusern die Kosten ersetzt, die anfielen – für Material, Behandlungen, Personal etc. Man musste sich keine Gedanken darüber machen, dass eine Hüft-OP deutlich mehr Geld bringt als eine pädiatrische Station oder ein Kreißsaal. Und in den Kliniken hatten Ärztliche Direktoren mehr zu sagen als Controller. Heute sind Chefärzte zur Schizophrenie gezwungen: die beste Behandlung für ihre Patienten wählen, gleichzeitig möglichst viel Gewinn erwirtschaften – dann gibt es vielleicht am Jahresende zur Belohnung noch einen schönen Bonus. Private Häuser haben einen großen Teil der Kliniken übernommen und wollen Gewinne machen. Das Geld dafür kommt von uns.

Ob Karl Lauterbach hier wohl mit seinen Experten eine Trendwende schafft? Wen das Thema interessiert: Ich mache demnächst ein Interview mit einer Expertin, das hoffentlich bald hier erscheint.

Was sich ändern muss, Teil 1

Meist habe ich auf diesem Blog Missstände beschrieben, und auch ihre ganz konkreten Auswirkungen in meinem Haus. Die Realität darzustellen, realistisch und von innen heraus, ist eins der Ziele dieser Seite. Die meisten Menschen haben keine große Idee, wie es auf einer Station zugeht, aufmerksame Patienten bekommen zumindest eine Ahnung davon. Jetzt will ich einmal nach vorn schauen und beschreiben, was sich aus meiner Sicht verändern muss. Einige Forderungen sind natürlich nicht neu oder originell, trotzdem ist manches, das selbstverständlich erscheint, umstritten. Und der Weg dorthin erst recht. Teil 2 folgt.

1. Vernünftige Personaluntergrenzen
Klar eins der großen Themen, die häufige – oder soll ich sagen ständige – Unterbesetzung ist für die Pflegerinnen und Pfleger ein riesiges Problem. Die Arbeit kann ja nicht auf den nächsten Tag verschoben werden, die Unterbesetzung, stresst, zermürbt, laugt aus – körperlich und psychisch, das liegt auf der Hand. Das Thema Mindestbesetzung/Personaluntergrenzen wird zurzeit von vielen Beteiligten und Experten schon ausgiebig bearbeitet. Aber egal welches Modell man sich ausdenkt, es bleibt momentan das grundsätzliche Problem, dass die Kliniken erstmal viele tausend Kollegen einstellen müssten.

Das Personal an den Unikliniken NRW hat nach einem beispiellosen Streik nun immerhin einen Tarifvertrag „Entlastung“ durchgesetzt, der Gutschriften an Arbeitszeit vorsieht, die bei mehrmaligen Unterschreitungen der Mindestbesetzung jeweils einen freien Tag als Kompensation vorsehen. Was in meinem Haus geplant ist, habe ich ehrlich gesagt, noch nicht richtig verstanden. Es gab schon einmal ein Modell, das aber wegen Corona auf Eis gelegt wurde und nun wohl abgewandelt vor der Wiedereinführung steht. Darin werden Untergrenzen je nach Bettenzahl und Stationsprofil definiert. Unsere Stationsleitung kalkuliert schon, wie sich das mit unserer Besetzung realisieren lässt. Wenn man ihr zuhört, wird schon klar: Die Untergrenze, die im Modell vorgesehen ist, soll das sein, was noch gerade so zu tolerieren wäre. In unserer Planung wird sie ins Gegenteil verkehrt, nämlich zum Zielwert, und hat man ihn erreicht, klopft man sich freudig auf die Schulter. Der Stress bleibt also Teil des Systems, melden sich ein, zwei Kollegen krank, sind wir schon wieder im Chaos.

2. Bessere Bezahlung
Klar, das Gehalt ist zu gering. Allerdings zu sagen, wir haben mehr verdient, ist müßig, das interessiert in unserm Wirtschaftssystem keinen. Aber: Wie in vielen anderen Berufen, haben sich die Löhne und Gehälter in der Pflege in den letzten 20 Jahren kaum nach oben entwickelt. In der Zeit sind die oberen Einkünfte, Vermögen, Unternehmensgewinne exorbitant gestiegen. Uns erzählt man Sachen wie: Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen. Die Länder/Kommunen haben kein Geld, wie stellt ihr euch das vor? Jetzt ist es gerade schlecht, Corona hat Löcher in die Kassen gerissen. Wenn ihr jetzt deutlich mehr Geld wollt, steigt die Inflation noch weiter. Etc.

Die letzte Tariferhöhung, die ich erlebt habe, war im Herbst 2020, erstes Coronajahr. Verdi hat sich hinterher auf die Schulter geklopft. Die Prozentzahl klang auch ganz gut, nur hatte man mit den Arbeitgebern eine Laufzeit von mehreren Jahren vereinbart. Legt man das um, sehen die Zahlen deutlich bescheidener aus. Immerhin, bei verschiedenen Zulagen gab es erhebliche Verbesserungen. Bedenkt man aber, wie die Zeit damals war – wir waren im Coronaschockzustand, der Pflegenotstand war in aller Munde –, hätte deutlich mehr herausspringen müssen.

Was man dabei nicht vergessen darf, und das ist ein entscheidender Punkt: Die Pflege ist auch selber schuld, der Anteil der Kollegen, die in der Gewerkschaft sind, ist lächerlich.

3. Mehr Kampfbereitschaft
Das wäre dann auch meine dritte Forderung, sie richtet sich an uns als Berufsstand: In die Gewerkschaft eintreten, das Streikrecht nutzen, sich engagieren. Von nichts kommt nichts. Man kann bisher nur neidisch auf IG Metall oder Eisenbahner schauen.

4. Besserer Ruf des Berufs, der eigentlich ein toller Beruf ist
Die Sache mit dem Pflegenotstand ist ein Teufelskreis. Bei Pflege denkt heute jeder an Unterbesetzung, Stress und Burnout, wer will sich das antun? Dabei ist der Beruf Krankenpfleger eigentlich großartig. Jeder Tag ist anders, es ist nie langweilig. Es geht ja um viel mehr als das alte Klischee davon, „Menschen zu helfen“. Man muss erstmal schauen, wen hat man vor sich, wie tickt der Patient, was braucht er? Wenn man sich für Menschen interessiert, ist das immer wieder eine spannende Herausforderung. Die sehr bereichernd ist und sehr erfüllend. Soviel nur in aller Kürze, ich habe schon länger vor, hier man ein Loblied auf den Beruf vorzubringen. Folgt. Aber wie vermittelt man das im Großen? Ein Beispiel: Ich habe gerade von einem Krankenhaus bei München gelesen, das Schulabgänger ins Haus holt, damit sie sich selber anschauen und ausprobieren können, wie Pflege ist. In diese Richtung kann man viel mehr machen.


5. Abkehr von der Privatisierung
Ein sehr komplexes Thema. Der Journalist David Gutensohn hat ein Buch geschrieben, „Pflege in der Krise“, in dem er klar Stellung gegen die Privatisierung bezieht. In einem ZEIT-Artikel hat er seine Thesen zusammengefasst. Genauso wenig wie die Polizei, Schulen, Feuerwehr, Kindergärten sollten Krankenhäuser und Pflegeheime Gewinne machen müssen, fordert er. Zwar würde ich behaupten, dass in der Bildung die Privatisierung längst eingesetzt hat, siehe Privatschulen und der Bologna-Prozess an den Hochschulen.  Aber der Grundthese würde ich zustimmen. Gutensohn sieht Gesundheit ist als Teil der Daseinsvorsorge und somit gesellschaftliche Aufgabe. Privatisierung setze falsche Anreize, Profitmaximierung vertrage sich nicht mit dem Ziel, zuerst das Beste für den Patienten zu erreichen. Stattdessen wird am Personal gespart, bei der Wahl der Behandlung fließen betriebswirtschaftliche Erwägungen ein.

Die Entwicklung der vergangenen zwanzig Jahren auf einen Schlag rückgängig zu machen, hält Gutensohn zwar nicht für einen gangbaren Weg, aber er schlägt drei Maßnahmen vor: rekommunalisieren, Fallpauschalen abschaffen, Profite begrenzen. In dem Zuge sollen neue Anreize geschaffen und die Einrichtungen belohnt werden, die zufriedene Patienten haben und in Personalentwicklung investieren.