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Einsam und verloren: Mit Demenz im Krankenhaus

Letzte Woche zu Beginn des Spätdienstes schaue ich mit meinem Kollegen kurz nach Patient H. Der Mann hat eine fortgeschrittene Demenz und ist schon einmal bei uns gestürzt. Als wir die Tür aufmachen, kommt er uns gerade entgegen: Nackt und orientierungslos klammert er sich an einen Stuhl, auf dem Boden ist überall Blut, das zähflüssig aus seinem Penis tropft. Offensichtlich hat er sich gerade den geblockten Blasenkatheter herausgezogen.

Demenz ist – abgesehen von Ausnahmen – eigentlich eine Kontraindikation für einen Blasenkatheter, also ein Ausschlusskriterium. Ich sehe bei uns trotzdem ständig Menschen mit Demenz und Blasenkatheter. Gerade Männer kommen oft nicht damit klar, dass da ein Schlauch in ihrem Penis steckt, und ziehen kräftig daran. Mit den immer gleichen Folgen, siehe oben. Solche Patienten bluten oft ausgiebig und brauchen dann manchmal Blutkonserven, was übrigens auch sehr viel Geld kostet. Außerdem benötigen sie nun wirklich einen Blasenkatheter, und zwar jetzt einen so genannten Spülkatheter, der verhindern soll, das Blutpfropfen die Harnröhre verstopfen. Ein Teufelskreis. Patient H haben wir Fäustlinge angezogen. Sie sehen etwa so aus wie Boxhandschuhe und verhindern, dass man den Katheterschlauch greifen und herausziehen kann. Oder sonst irgendetwas mit seinen Händen machen.

Man liest öfter den Satz, dass Krankenhäuser für Menschen mit Demenz gefährliche Orte sind. Das ist nicht übertrieben. Und es ist ein riesiges Problem, wenn man sich klar macht, dass in Deutschland ca. 1,7 Millionen Menschen an Demenz leiden und diese Gruppe allein altersbedingt sehr häufig in Kliniken eingeliefert wird. Die Krankenhäuser sind aber nicht eingestellt auf solche Menschen, weder personell noch vom pflegerischen Know-how. Und für diese Patienten bedeutet der Klinikaufenthalt oft einen negativen Schub in ihrer Erkrankung.

Ein wesentliches Problem: Diese Leute brauchen sehr viel Zuwendung, weil sie oft schon nicht verstehen, wo sie überhaupt sind und wieso. Sie brauchen ihre gewohnte Umgebung, um sich halbwegs im Alltag zu orientieren und sicher zu fühlen. Im Krankenhaus fällt das weg, alles ist neu und ungewohnt, das führt zu Verunsicherung und Angst. Jetzt finden sich die Leute noch schlechter in ihrem Leben zurecht, werden unruhiger, verwirrter – ein Teufelskreis. Das hat sich durch Corona mit den eingeschränkten Besuchsregeln noch verstärkt, tagelang schauen diese Patienten in kein bekanntes Gesicht und verzweifeln.

Oft spricht man am Telefon mit Verwandten und ist überrascht: Der Opa kam zu Hause noch ganz gut zurecht, bei uns bekommt er kaum einen sinnvollen Satz zustande. Was die Sache noch komplizierter macht: Oft ist auch ein Delir im Spiel, auch als „Durchgangssyndrom“ bekannt, das zum Teil ähnliche Symptome aufweist wie Demenz, aber sehr plötzlich auftritt – anders als viele glauben allerdings nicht nur nach Operationen: Jeder Krankenhausaufenthalt bringt für ältere Patienten ein erhöhtes Delir-Risiko mit sich.

Zudem sind solche Leute, wenn die Demenz fortschreitet, zunehmend unberechenbar, sie schmeißen Sachen um, legen sich ins falsche Bett, rufen unentwegt laut um Hilfe, ziehen sich venöse Zugänge (oder eben Katheter), versuchen abzuhauen und so weiter. Mit dem aktuellen Personalschlüssel auf Stationen wie meiner ist es unmöglich, solchen Leuten gerecht zu werden, gerade auf internistischen Stationen, wo manchmal 20 oder mehr Prozent der Patienten eine Demenz haben.

Ein weiteres Manko: Die Kommunikation mit diesen Patienten ist eine echte Herausforderung, mit der viele in der Pflege schlicht überfordert sind. In meiner Fortbildung fiel der Satz: Bei fortgeschrittener Demenz spielt Vernunft keine Rolle mehr, es geht nur noch um Gefühle. Und das Krankenhaus bringt für die Leute fast nur negative Gefühle mit sich: Sie wissen nicht, wo sie sind, vermissen vertraute Menschen, müssen schmerzhafte Behandlungen ertragen, Regeln einhalten, die sie nicht verstehen und sich nicht merken können etc. Darauf einzugehen, kostet für uns als Pflegende Geduld, Einfühlungsvermögen und Frustrationstoleranz.

Stattdessen wird im Alltag immer wieder an die Vernunft appelliert, auf Fehler hingewiesen und auf Regeln gepocht. Man redet einfach so, wie man es gewohnt ist, als hätte man einen klar denkenden Menschen vor sich. Alles sinnlos. Aber irgendwie auch verständlich, denn das System Krankenhaus funktioniert nicht ohne Regeln.

Immerhin: Wir haben ein Demenz-Team im Haus, aber es besteht nur aus zwei Kolleginnen. Sie entlasten im Frühdienst die Stationen bei der Pflege, was angesichts ihrer Personalstärke natürlich nur ein bescheidener Beitrag sein kann. Außerdem setzen sie sich für die betroffenen Patienten ein und sind im Hause auch sehr gut vernetzt. Und schrecken auch nicht davor zurück, sich mit Oberärzten anzulegen. Zum Beispiel, wenn es um Operationen mit fraglichem Nutzen geht oder um Verlegungen innerhalb des Hauses auf Privatstationen, die eben wieder einen zusätzlichen Ortswechsel bedingen und bei den Betroffenen meist zu noch mehr Desorientierung führen. Aber egal, Hauptsache, es bringt mehr Geld.

Außerdem bietet das Demenzteam Fortbildungen für die Pflege an. Das Interesse hält sich aber sehr in Grenzen, die Resonanz ist enttäuschend. Das Thema ist ja auch nicht gerade sexy.

P.S.: Gestern kam ich nach dem Wochenende zum Dienst und erfuhr, dass Patient R, der schon eine Weile bei uns liegt und sehr verwirrt ist, zwischendurch einen Blasenkatheter hatte. Ein Kollege hatte ihn kurzerhand gelegt, keiner wusste, wieso. Vielleicht weil er keine Lust hatte, mehrmals am Tag die Windel zu wechseln. Gebracht hat es ihm wenig. Als er das nächste Mal ins Zimmer kam, hatte R das Ding schon wieder rausgerissen.

Pflege in Not und die Folgen für die Ausbildung

Den Pflegenotstand kennt heute jeder, in Deutschland fehlen zehntausende von Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern. Den Mangel an Fachkräften will die aktuelle Regierung vor allem mit Pflegekräften aus dem Ausland lindern. Ganz unabhängig davon, ob das funktioniert oder nicht, ist diese Strategie grundsätzlich sehr problematisch. Wer soll künftig die Kranken in Mazedonien oder Albanien pflegen, wenn die Kollegen von dort massenhaft Richtung Deutschland abwandern? Zum andern muss man mehr junge Menschen dazu bringen, sich für die Ausbildung in der Pflege zu interessieren. Aber wie sieht es da im Moment aus?

Die Antwort: Es gibt zu wenige Bewerber. Und es gibt zu wenige geeignete. Der Eindruck aus meiner Ausbildung ist, dass die Schulen fast jeden nehmen, der kommt. Sie sind schlicht nicht in der Position groß auszusieben, weil sie dann ihre Plätze nicht besetzt bekämen. Das soll nicht heißen, dass es keine fitten Leute gibt. Ich habe in meiner Ausbildung viele gesehen, die sehr motiviert waren, selbstbewusst, interessiert und lernfährig. Und auch heute sehe ich unter den Auszubildenden viele mit einem solchen Potenzial. Aber es werden eben auch nicht wenige Bewerber genommen, denen es an unterschiedlichsten Dingen fehlt: ausreichende Deutschkenntnisse, Empathie- oder Kommunikationsfähigkeit, die Bereitschaft, sich reinzuhängen.

Die Gründe sind bekannt: Der Beruf erscheint zu wenigen attraktiv. Weil die Bezahlung zu niedrig ist, der Stress dafür groß. Wahrscheinlich werden die Möglichkeiten zu wenig wahrgenommen, dass man sich weiterbilden und damit auch in andere Bereiche wechseln kann: in die Lehre, Beratung, zu Krankenkassen, in organisatorische Aufgaben. Und dann ist da noch das Problem, das die Pflege mit andern Ausbildungsberufen teilt: Immer weniger junge Menschen wollen überhaupt eine Ausbildung machen, sondern Abitur – und danach studieren. Ob sie ihr Studium abschließen, und wenn ja, ob sie danach gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben, sind ganz andere Fragen.

Was bedeutet das für die Ausbildung selbst, dass kaum Vorauswahl stattgefunden hat? Zum einen wurde über die drei Jahre hinweg ausgesiebt. Nicht wenige brechen ab, viele scheitern schon an der Probezeit oder am Ende beim Examen. Aber dann gibt es noch eine nicht unerhebliche Zahl, die irgendwie durchgezogen wird. Bei den Klausuren zu schummeln ist nicht schwer: Einfach zwischendurch aufs Klo und das Handy zücken. Oft waren Leute im Kurs auch an die Klausur zum Thema vom Vorjahr gekommen. Das war sehr hilfreich, denn man konnte sich darauf verlassen, dass diesmal wieder genau dieselben Fragen gestellt werden.

Auch beim Nachweis der Praxisanleitungen in den Klinikeinsätzen mogelten manche, was das Zeug hielt. Oder bei der Anwesenheit: Zu viele Fehlstunden, um beim Examen zugelassen zu werden? Egal, wir drücken beide Augen zu. Man könnte jetzt denken, vielleicht war der Schüler viel krank und dafür wollte die Schule ihn nicht abstrafen. Im Kurs wusste aber jeder: Er hatte einfach nicht so viel Lust auf den schulischen Teil der Ausbildung und machte öfter blau.

Die Auszubildenden haben es schnell raus, wo die Schlupflöcher sind. Und nutzen sie, wo sie können. In einer Lerneinheit zum Thema statistische Methoden sollten wir uns in Gruppen Themen für eine Umfrage suchen und diese dann umsetzen und auswerten. Eine Gruppe sparte sich die Arbeit der Befragung und machte einfach Kreuzchen auf die Fragebögen. Sie bekam eine 1 minus.

Die Mogelpackung „Generalistische Ausbildung“

Nach meiner Ausbildung hat es wieder eine Reform gegeben, die „generalistische Ausbildung“ wurde eingeführt. Ich bin sehr froh, dass ich das nicht mehr erleben musste. Bisher war es so: Die Altenpflegeausbildung war selbstständig. Kranken- und Kinderkrankenpfleger dagegen sind gemeinsam in den schulischen Teil der Ausbildung gestartet, die Praxis war natürlich getrennt. Vor dem dritten Jahr wurde auch der schulische Teil aufgespaltet.

Die wesentliche Veränderung der generalistischen Ausbildung ist nun, dass Kranken- und Altenpflege zusammengefasst werden. Das soll angeblich den Beruf attraktiver machen, die Bezahlung verbessern, die Qualität der Ausbildung erhöhen und die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Meiner Ansicht nach sind sämtliche Argumente vorgeschoben und falsch.

Ich sehe das Thema vor allem aus der Perspektive der Krankenpflege. Und da kann die Reform nur zu einer Verwässerung führen. Schon jetzt sind die drei Jahre vollgestopft mit Themen. Im praktischen Teil gibt es Außeneinsätze in Psychiatrie, ambulanter Pflege, Altenheimen, Behindertenpflege. In der Schule werden neben medizinischen viele weitere Themen behandelt: rechtliche Fragen, Geschichte der Pflege, Fragen der Dienstplangestaltung, Kommunikation, häusliche Pflege, Demenz, Behinderung. Wer jetzt zusätzlich in nennenswertem Umfang die Altenpflege reinpacken will, muss vorher beim bisherigen Lehrplan die Axt anlegen. Ich frage mich, was da alles rausgestrichen wurde. Und wie man das als Qualitätsgewinn verkaufen kann.

Ich habe in der Ausbildung eine relativ gute Bezahlung erhalten, schon im ersten Jahr gut 1000 Euro netto. Das konnte man von der Altenpflege weniger behaupten, vor allem nicht in einigen Bundesländern, in denen während der drei Jahre ein Schulgeld verlangt wurde. Das war in der Tat ein Problem, und man hätte schon längst etwas dagegen unternehmen müssen. Grotesk wird es aber, wenn man behauptet, man müsse deshalb Altenpflege und Krankenpflege zusammenlegen.

Dann ist da noch das angebliche Argument der Berufsaussichten. Ein Blogger schreibt dazu: „Wer sich im neuen Berufsbild der Pflegefachfrau bzw. des Pflegefachmanns ausbilden lässt, hat beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“ Dazu kann ich nur sagen: Ich habe auch beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt, ich kann mir aussuchen, wo ich arbeiten will. Mit der Ausbildung als Krankenpfleger könnte ich zum nächsten Ersten in vielen anderen Kliniken, bei ambulanten Pflegediensten, in der Behindertenhilfe, bei Zeitarbeitsfirmen oder in der Psychiatrie anfangen. Und natürlich in jedem Altenheim. Die könnten ihr Glück kaum fassen, wenn ein fähiger Krankenpfleger mit Berufserfahrung sich bei ihnen bewerben würde. Mit andern Worten: Aus Sicht der klassischen Krankenpflege ist das Argument der tollen Berufsaussichten für die neuen Pflegefachfrauen und -männer kompletter Blödsinn. Es herrschten ja angesichts des Pflegenotstands vorher schon paradiesische Zustände.

Was war also der wahre Grund für die Zusammenlegung der unterschiedlichen Ausbildungen? Ich kann da nur mutmaßen. Aus Sicht der Altenpflege stellt sich die Sache schon anders dar. Die Bezahlung ist schlechter als im Krankenhaus, der Personalmangel noch größer. Man liest ja horrende Geschichten aus manchen Pflegeheimen, nicht nur im Zusammenhang mit Corona. Woher sollte also die Motivation für fähige und motivierte junge Menschen kommen, sich für eine Ausbildung in der Altenpflege zu entscheiden? Gleichzeitig wird der Bedarf weiter rasant ansteigen, die demografische Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Ähnlich sieht es wohl in der ambulanten Pflege aus, die sich überwiegend um alte Menschen kümmert, die zu Hause allein nicht mehr klarkommen. Auch die hat in der neuen generalistischen Ausbildung stärkeres Gewicht erhalten. Deshalb scheint mir dieser Gedanke plausibler: Die Reform der Ausbildung sollte vor allem dazu dienen, die Altenpflege attraktiver zu machen. Die Krankenpflege hat gar nichts davon, im Gegenteil. Aber das will so natürlich niemand sagen.

Wer oder was muss sich eigentlich ändern?

Vor ein paar Wochen hatte ich mal wieder ein paar besonders schlimme Spätdienste hinter mir. Man rennt stundenlang über die Station und sieht kein Land. Die Pause ist quasi ausgefallen, irgendwann kommt die Kollegin vom Nachtdienst und viel Arbeit ist noch nicht gemacht. Klar, die Infusionen sind gelaufen, niemand liegt (hoffentlich) in einer vollen Windel. Aber Akten der Neuaufnahmen sind nicht fertig, Pflegeanamnesen nicht gemacht, Labore nicht ausgedruckt, neue Anordnungen noch offen, der Arbeitsraum ein Chaos usw. Davon abgesehen, dass die Zeit für Gespräche mit Patienten und Angehörigen fehlte; manches fiel einfach unter den Tisch: bei Patient R. nochmal Vitalzeichen kontrollieren, Inhalationen anhängen, Mahlzeiten begleiten usw. Das Ergebnis: Ich gehe abends raus, habe Überstunden gemacht, bin körperlich ausgelaugt und psychisch frustriert, weil ich meinen Ansprüchen nicht gerecht geworden bin.

Ein paar Tage später erzählte ich einem Freund davon und sagte ihm, dass ich an mir arbeiten müsse: einen Weg finden, besser mit dem Stress umzugehen, mich selber weniger unter Druck zu setzen. Worauf er meinte: „Das ist wohl der moderne Weg, mit schlechten Arbeitsbedingungen umzugehen.“ Früher hätten Arbeitnehmer eher an Gewerkschaften, Betriebsräte gedacht, wenn es um schlechte Arbeitsbedingungen ging. Es war klar, dass sich etwas an den Verhältnissen ändern muss (was allerdings auf die Krankenpflege nur zum Teil zutrifft, es sind ja viel zu wenige Kollegen in der Gewerkschaft).

Heute versuchen Angestellte, an ihrer Resilienz zu arbeiten.

Wahrscheinlich hat er Recht. Es passt zu dem, was ich mir schon seit Längerem über das Phänomen Burnout denke. Der Burnout ist der moderne Nachfolger des Protests, des Widerstands, vielleicht sogar der Revolution. Statt rauszugehen und zu demonstrieren, sagt der moderne Arbeitnehmer immer öfter: Ich gehe nach Hause, ich kann nicht mehr.

Irgendwie sieht er, dass an den Verhältnissen, die das mit ihm gemacht haben, etwas nicht stimmen kann. Aber was soll er tun? Man bringt seinen Protest dadurch zum Ausdruck, dass man nicht mehr mitmacht. Nimmt kein Megaphon in die Hand, sondern sagt ganz leise: Ich kann nicht mehr, schaut nur, was ihr aus mir gemacht habt. Aber eigentlich ist es vor allem eine Kapitulation.

In der Regel sicher auf Zeit. Früher oder später beschleichen wohl die meisten Zweifel, dass sie vielleicht doch etwas falsch gemacht haben, nicht stark genug sind. Außerdem brauchen sie schlicht und ergreifend das Geld. Und die Anerkennung.

Dabei sein ist alles.

Das Dilemma mit der Zeitarbeit

Man muss sich das vor Augen führen, zwei Kollegen auf meiner Station sind wegen Krankheit absehbar wochenlang nicht da. Dazu kommen die kurzfristigen Krankmeldungen, gerade jetzt im Winter fast täglich. Bei der ohnehin sehr angespannten Situation auf unserer Station sind solche Ausfälle nicht zu verkraften. Wie ein typischer Frühdienst aussieht, habe ich vor Kurzem hier geschildert. Wie geht das Haus damit um? Man könnte nun die Bettenzahl reduzieren. Wird aber nicht gemacht. Oder denken, die Geschäftsführung holt ersatzweise zwei Kollegen über Zeitarbeit ins Team. Zeitarbeit ist aber von unserer Geschäftsführung nicht gewollt, angeblich weil die Leute schlechter arbeiten. Außerdem wolle man das System der Leiharbeit nicht unterstützen. Ich halte zumindest das zweite Argument für vorgeschoben, eigentlich beide. Wenn Betriebswirtschaftler mit hehren politischen Überzeugungen argumentieren, muss man schon misstrauisch werden.

Die Zunahme der Leiharbeit der vergangenen 20 Jahre kann man sicher kritisch sehen, meist geht es auf Kosten der Arbeitnehmer. Viele nehmen aus der Not heraus Jobs an, wo sie weniger verdienen und keine langfristigen Perspektiven haben. Das ganze System zielt auf Flexibilität ab, vor allem zum Nutzen der Arbeitgeber.

In der Krankenpflege ist die Situation aber eine völlig andere: Die Pfleger, die sich für  Zeitarbeit entscheiden, genießen viele Vorteile. Sie können sich die Arbeitszeiten aussuchen (z.B. keine Nächte, keine Wochenenden), Urlaub frei wählen, ohne sich im Team abzustimmen („Was, du willst drei Wochen in den Sommerferien frei haben? Vergiss es!“), bekommen oft noch einen Dienstwagen gestellt. Und: Sie verdienen erheblich besser. Womit wir beim vermutlich wahren Grund sind, warum Zeitarbeit in unserm Haus so unbeliebt ist: Sie ist teurer.

Also verschiebt man lieber die Leute im Haus („Du musst heute auf 3.1 arbeiten.“). Und ruft Kollegen an freien Tagen an, ob sie nicht einspringen können. Natürlich wird trotzdem ständig in Unterbesetzung gearbeitet.

Die Politik hat sich mal am Rande mit dem Thema Zeitarbeit in der Pflege beschäftigt, große Wellen hat es nie geschlagen. Aus Berlin kam eine Landesinitiative, sie wieder zu verbieten, auch um zu verhindern, dass weiter Leute aus den Krankenhäusern abwandern. Die Branche reagierte und behauptete, der Markt sei ja ohnehin schon zum Stillstand gekommen. Es gibt aber Zahlen, die dem widersprechen. Laut der Ärztezeitung ist die Zahl der Zeitarbeiter in der Krankenpflege allein von 2014 bis 2018 von rund 12.000 auf circa 22.000 gestiegen.

Den Kollegen, die sich für den Wechsel entscheiden, kann man es kaum verübeln. Es ist wie immer im Leben, sowohl die Festanstellung wie die Zeitarbeit haben ihre Vor- und Nachteile. Die Zeitarbeiter müssen sich ständig in ungewohnten Umfeldern und Situationen zurechtfinden, mit Kollegen, die sie kaum kennen. Aber wie erwähnt verdient man eben in der Zeitarbeit deutlich mehr. Ich glaube nicht, dass ein Verbot der Branche eine Lösung ist. Solange die Situation in den Krankenhäusern so miserabel ist wie jetzt und der Pflegejob nicht attraktiver wird, können die Zeitarbeitsfirmen daran verdienen.

Joko und Klaas – haarscharf an der Realität vorbei

Ich muss zugeben, ich habe mir nicht die gesamte Sendung „Pflege ist nichtselbstverständlich“ von Joko und Klaas angesehen, 7 Stunden Pflegereportage. Klar, die Initiative ist vorbildlich, und es ist beachtlich, dass sie so viel Sendezeit bei Pro7 herausgeschlagen haben. Klar sind aber noch zwei Sachen. Erstens lässt sich leider mit einem einzelnen TV-Beitrag sehr selten eine echte Veränderung anstoßen. Das superpositive Medienecho erinnert ein bisschen an das Corona-Klatschen von den Balkonen. Gut gemeint, aber auch sehr einfach. Zweitens ist die Schicht der Kollegin an der Uniklinik Münster ein Spaziergang im Vergleich zu dem, was an vielen Tagen auf zahllosen anderen Stationen im Land abläuft, zum Beispiel auf meiner. Die Realität, die ich erlebe, ist sehr anders. Und sehr viel schlimmer.

Man muss sich ja klar machen: Die Uniklinik Münster hat dem Projekt im Voraus zugestimmt und sich das sicher gut überlegt. Bestenfalls ein PR-Coup, schlimmstenfalls ein PR-Desaster. Kein Krankenhaus würde das, was bei uns zum Beispiel diese Woche wieder abläuft, ungefiltert der Öffentlichkeit zugänglich machen: ständige massive Unterbesetzung, organisatorisches Chaos, unzählige Aufgaben, die unerledigt bleiben, demente Patienten, denen niemand gerecht wird, Pausenzeiten, die einfach entfallen usw. In dem Moment, wo meine PDL weiß, dass ich morgen im Frühdienst mit einer Kamera über die Station laufe, verändert sich diese Realität natürlich rapide. So etwas ist dann Chefsache und wird im großen Stil vorbereitet. Man will sich ja gut verkaufen. Da darf zum Beispiel nicht passieren, was ich heute erlebt habe. Während der Nacht rufen zwei von vier examinierten Kollegen vom Frühdienst an und melden sich krank. Dann müssen die verbleibenden Kolleginnen eben ein paar Zimmer mehr machen. Ist nicht wirklich zu schaffen, aber was will man machen?

Die Stimmung, die dann morgens bei der Übergabe herrscht, wäre ein schöner Einstieg für eine Reportage. Bekommt man nicht zu sehen. Man wird auch nicht im TV erleben, wie ein Chefarzt eine junge Kollegin anschreit, weil ein Patient seiner Meinung nach viel zu spät zur Dialyse gebracht wird. Aber es ist nun mal Samstagmorgen, also ist keine Servicekraft auf Station und wir als Pflegende müssen das Frühstück selber austeilen.  Denn erst nach dem Frühstück werden die Patienten zur Dialyse gefahren. Doch davor liegt ein Berg an Aufgaben. Nachdem die Übergabe gelaufen ist, müssen Tabletten kontrolliert und die erste Runde absolviert werden, in der Medikamente verteilt, Infusionen angehängt, Vitalzeichen gemessen, Katheterbeutel geleert werden, Blutzucker gemessen und zum Teil Insulin gespritzt wird, Patienten auf die Waage gesetzt, schmutzige Windeln gewechselt werden, man sich von jedem Patienten einen Eindruck verschafft, Fragen beantwortet, an nicht funktionierenden Zugängen rumdoktert, Sauerstoff verabreicht, Werte und Eindrücke im Computer dokumentiert. Und und und. Und das sind nur die ersten zwei bis drei von acht Stunden.

Dazu kommen die Sachen, die schief gehen und zusätzliche Zeit kosten: Ständig fehlt Material, das auf anderen Stationen geliehen werden muss: Handtücher, Infusionsmaterial, Kochsalzlösung, Medikamente. Eine Waage ist kaputt, das Blutzuckermessgerät, der Computer streikt, die Bestellung der Opiate hat nicht geklappt, wo bekommen wir jetzt das Palladon her, das drei Patienten brauchen? Das Bett lässt sich nicht verstellen, der Infusomat in Zimmer 12 gibt alle fünf Minuten ohrenbetäubende Warnsignale von sich, der Patientenfernseher/das Telefon ist kaputt, Herrn Müller ist angeblich sein Portemonnaie gestohlen worden.

Das wäre nur zu schaffen, wenn die Besetzung entsprechend wäre. Eigentlich müssten auf meiner Station im Früh- und Spätdienst vier examinierte Kollegen auf dem Plan stehen. Das ist aber die Ausnahme. Also ist man darauf angewiesen, wenigstens genug Praktikanten und Auszubildende („Schüler“) auf Station zu haben, an die man einfache Aufgaben delegieren kann. Aber zum einen ist auch das oft nicht der Fall. Zum anderen sollen die Schüler etwas lernen und nicht nur Blutdruck messen, Patienten zum EKG schieben oder ins Labor rennen.

Und dann ist da natürlich das spezielle Klientel, das man oft auf internistischen Stationen hat: viele sehr alte Patienten, bettlägerig, dement, inkontinent. Solche Leute machen ungeheuer viel Arbeit. Ich erinnere mich an einen Nachmittag, wo wir nur zu dritt waren und gerade wieder ein paar besondere Patienten auf Station hatten, allein sieben mit Demenz. Einer davon war spurlos verschwunden und ich rannte durchs Haus, hatte Angst, dass er in einem Treppenhaus umgekippt ist. Irgendwann brachte ein Kollegin ihn vorbei. Es reicht ja manchmal ein einzelner Patient, um die ganze Schicht zu sprengen. Wenn sich zum Beispiel plötzlich der Zustand dramatisch verschlechtert. Oder wie an diesem Nachmittag ein weiterer dementer Patient sich den Blasenkatheter aus der Harnröhre zieht, was zu massiven Blutungen führte. Dann muss ein Spülkatheter gelegt werden. Solche Leute erzählen einem auch häufig, dass sie aufs Klo müssen. Dann zeigt man ihnen ihren Katheterbeutel und sagt: „Einfach laufen lassen, Sie haben einen Katheter.“ Kurze Zeit später schellen sie (wenn sie das noch können) oder rufen: „Hallo, hallo, ich muss auf Toilette!“

Das Recht des Stärkeren

In Deutschland scheint es Konsens zu sein, dass Arbeitskräfte aus andern Ländern hierher geholt werden, um Lücken zu stopfen, nicht nur in der Pflege. In der Pflegeoffensive von Jens Spahn ist diese Strategie einer der wesentlichen Pfeiler. Vor Kurzem hat Detlef Scheele der Süddeutschen Zeitung erzählt, es müssten 400.000 Menschen ins Land geholt werden. Die Westdeutsche Zeitung beschreibt in einem Artikel die Anstrengungen der Kliniken in Düsseldorf, Pflegekräfte aus Ländern wie Brasilien oder Griechenland nach Deutschland zu holen. Da werden Sprachkurse organisiert, es wird bei Behördengängen und der Wohnungssuche geholfen.

Betrachtet man die Länder, aus denen diese Menschen kommen, ist natürlich klar: Es ist die pure Not, die sie zu uns treibt. Deutschland macht sich die teils extremen Wohlstandsunterschiede zunutze, die nicht nur im Verhältnis zu Ländern wie Brasilien oder Tunesien bestehen, sondern auch innerhalb von Europa bzw. der EU. Oft ist ja von einem Wettbewerb um kluge Köpfe bzw. um Arbeitskräfte die Rede. Aber Wettbewerb braucht als unverzichtbare Bedingung Chancengleichheit. Wie sollen Bulgarien oder Albanien mit Deutschland um Arbeitskräfte konkurrieren? Das ARD-Magazin Monitor berichtete über die Folgen des Exodus von Pflegekräften aus dem Balkan nach Deutschland, Überschrift: „Wie Deutschland Osteuropa ausbluten lässt.“

Es geht hier nicht darum, Zuwanderung zu kritisieren. Migration ist ein Fakt. Die Frage ist, wie wir darauf reagieren. In meinem beruflichen Alltag beobachte ich, wie unser Team immer bunter wird. Ich empfinde das auf jeden Fall als Vorteil. Etwas vereinfacht ausgedrückt würde ich sagen, diese Leute, die da zu uns kommen, sind auf jeden Fall eine Bereicherung, sie bringen unter dem Strich Offenheit mit, Freundlichkeit, einen anderen Blick auf manche Dinge. Zum Teil dauert die Einarbeitung schon länger, sprachliche Hürden sind eine Herausforderung. Aber wenn ich unsere hiesigen Auszubildenden betrachte, gibt es auch sehr große Unterschiede, z.B. was Fähigkeiten und Motivation betrifft.

Und auf der politischen Ebene: Einerseits steht Europa weiterhin vor der Frage, wie es mit dem Andrang von Flüchtlingen aus aller Welt umgeht. Seit Merkels „Wir schaffen das“ ist das Regime zur Abwehr an den Außengrenzen massiv hochgefahren worden. Milliarden von Euro sind seitdem ausgegeben worden, letztendlich mit dem Ziel, Menschen abzuwehren. Auf der anderen Seite heißt es, wir holen Leute her und bedienen damit den Arbeitsmarkt. Da geht es natürlich nicht um humanitäre Motive, sondern um finanzielle Eigeninteressen. Es ist bekannt, dass sich die kapitalistische Logik auf sämtliche Lebensbereiche ausdehnt, demzufolge auch auf die Migration. Aber ist das erstrebenswert?

Ein frappierendes Beispiel sind Pflegekräfte aus Osteuropa, die im 24-Stunden-Dienst Pflegebedürftige zu Hause versorgen und monatelang von ihren Familien getrennt oder gar jeglichem sozialen Leben abgeschlossen sind. Diese ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse haben sich in Deutschland still und heimlich in einer rechtlichen Grauzone entwickelt und dort über viele Jahre die häusliche Pflege vor dem Kollaps bewahrt. Das war allgemein bekannt, lange hat sich nichts geändert. Es war klar, dass es teuer werden würde. Zyniker dachten sich wohl, dass die armen Osteuropäerinnen froh sind, Arbeit in Deutschland gefunden zu haben. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht die Praxis beendet, mit der „überraschenden“ Begründung: Auch diese Menschen haben Anspruch auf den Mindestlohn.

Interessant am erwähnten WZ-Artikel ist übrigens auch, dass in Düsseldorfer Krankenhäusern vermehrt Pflegende aus Griechenland zum Einsatz kommen. Den desolaten Zustand seines Gesundheitssystems hat das Land ja nicht zuletzt der Austeritätspolitik unter wesentlicher Mitwirkung von Angela Merkel zu verdanken. Der soziale Kahlschlag auf Druck von EU und Bundesregierung macht sich so gesehen für Deutschland nun wieder bezahlt. Nicht nur dass die Interessen deutscher Kapitalanleger bedient wurden und der ein oder andere Investor bei den erzwungenen Privatisierungen ein gutes Geschäft machte. Die Bundesregierung kann sich auch noch freuen, wenn verzweifelte Pflegekräfte von der Ägäis die Flucht Richtung Deutschland antreten.

Das Streikrecht ist uns heilig – aber doch nicht jetzt!

Ein Tag Warnstreik an fünf Unikliniken in NRW, das Medienecho ist groß und oft lautet die Überschrift: „Pflegekräfte streiken trotz Corona“. Ein schöner Kommentar dazu kommt vom Ärztlichen Direktor der Universitätsmedizin Essen. „Selbstverständlich gehört das Streikrecht zu den Grundfesten unserer Wirtschaftsordnung“, wird Professor Jochen A. Werner von dpa zitiert. Was eine typische Eröffnung im Stile von „Ich bin keine Rassist, aber …“ ist. Denn Gründe, warum das hochgehaltene Streikrecht gerade in diesem Fall zurückstehen muss, finden sich ja immer. Wenn Lokführer streiken, geht es auf Kosten der unschuldigen Pendler, und außerdem stecken bestimmt unlautere Motive dahinter. Bei den Pflegekräften stehen angeblich Menschenleben auf dem Spiel.

Das Argument gab es auch schon vor Corona und ist wohl mit ein Grund dafür, dass es in der Krankenpflege traditionell überhaupt keine nennenswerten Streiks gibt, mal abgesehen eben von den Unikliniken, wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad höher ist, da es sich um Landesbetriebe handelt. Als ich bei einer konfessionellen Klinik gearbeitet habe, hörte ich öfter den Satz: „Streiken ist hier gar nicht erlaubt.“ Das muss man sich mal vorstellen. Ob man dort wohl entlassen wird, wenn man streikt? Oder exkommuniziert?

Nun finden aber gerade jetzt die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst statt, und die werden wegen Corona nicht auf den nächsten Sommer verschoben. Auch wenn die Arbeitgeber sicher nichts dagegen hätten. Was also bleibt Verdi anderes übrig, als jetzt für bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen zu kämpfen?  Natürlich gibt es eine Notdienstvereinbarung.

Dass der Applaus des Frühjahrs 2020 uns Pflegenden wenig gebracht hat, ist ja längst ein Allgemeinplatz geworden. Leider stimmt es aber. Alle sind sich einig, dass sich unbedingt etwas tun muss, dass die Bedingungen in der Pflege endlich verbessert werden müssen. Erreicht worden ist wenig bis gar nichts. Man kennt das aus anderen Bereichen: Es sind sich ja auch fast alle einig darin, dass das mit dem Klimawandel so nicht weiter gehen kann, die Mieten nicht weiter rasant steigen dürfen und die Schere zwischen Arm und Reich sich weiter öffnen. Trotzdem passiert genau das.

Von den Folgen liest man jetzt täglich, wenn es um die vierte Welle geht: Die Krankenhäuser können nicht mehr so viele Patienten aufnehmen, weil seit Beginn der Pandemie viele Pflegekräfte hingeschmissen haben. Sie haben die Belastung in ihrem Job nicht mehr ausgehalten. Zu Beginn von Corona wurde eifrig darüber diskutiert, dass wir die Kapazitäten in den Krankenhäusern ausbauen müssen, um auf solche Krisen reagieren zu können. Aber stattdessen sind die Kapazitäten geschrumpft. Und nun sagt der oben zitierte Ärztliche Direktor, dass er es „nicht nachvollziehen“ kann, dass die Pflegekräfte gerade jetzt streiken. Damit ist ihm wieder eine weitere Variante des alten Spiels eingefallen: Das Streikrecht ist uns heilig, aber doch nicht jetzt! Es sollten doch bitte die anderen Berufsgruppen streiken, die von den momentanen Verhandlungen betroffen sind, sagt Werner. Die Krankenschwestern und Pfleger sollen also schön brav weiterschuften und die Klappe halten.

Der Pflegeroboter – dein Freund und Helfer?

Im Zentralorgan für Pflegethemen Die Schwester Der Pfleger ging es in einer der letzten Ausgaben groß um das Thema „Digitalisierung/Roboter im Krankenhaus“. Der Tenor ist unter dem Strich deutlich positiv, fast schon euphorisch. Der Fokus liegt auf den Chancen und Möglichkeiten. Ich bin da skeptisch.

Schon vor ein paar Jahren habe ich mal in der SZ einen großen Artikel über das Thema gelesen. Es begann mit der Zustandsbeschreibung von Pflegenotstand in den Kliniken, schlechter Bezahlung, das Übliche. Was kann man da nur tun?, fragte die Autorin und präsentierte als Lösung die Ideen eines so genannten Gesundheitsökonomen. Sein Konzept: Roboter werden zu Pflegeassistenten und entlasten uns als Pfleger.

Bei KI dreht sich die Diskussion häufig darum, dass die Arbeitskraft vieler Menschen künftig überflüssig wird, weil sie von Algorithmen und Maschinen erledigt wird. Für die Pflege werden solche Befürchtungen immer wieder mit folgender Erzählung gekontert: Wir als Pfleger müssen dann einfache Aufgaben nicht mehr erledigen und habe mehr Zeit für das Wesentliche. Mit andern Worten: Die Pflegeroboter sind unsere Freunde, sie machen unsere Arbeit schöner, besser und weniger stressig. Entlassen wird keiner. Und: Sie sind nicht nur unsere Freunde, sondern auch die Freunde der Patienten.

Auch im besagten Schwerpunkt in Die Schwester Der Pfleger findet sich das Argumentationsmuster. Als Rechtfertigung dafür, dass wir die Roboter in der Pflege brauchen, wird erstmal der Personalmangel angeführt, dann kommt das übliche Argument, dass wir entlastet werden. Dann aber verrät sich der Autor Jan-Marc Hodek, Professor für Gesundheitsökonomie, ungewollt. Er schreibt nämlich über die existierende Digitalisierung: „Ohne diese technischen Helfer würden schon jetzt weit mehr menschliche Pflegende benötigt.“ Führt man diesen Gedanken logisch fort, lässt er nur einen Schluss zu:  Auch in Zukunft werden dank der Roboter weit weniger menschliche Pflegende benötigt. Wenn es nach Herrn Hodek und Konsorten geht.

Überraschend ist das nicht. Leute wie diese Gesundheitsökonomen haben gemeinsam mit der Politik in den vergangenen Jahren daran gearbeitet, das Gesundheitssystem marktkonform umzukrempeln. Pflegekräfte werden heute mehr als früher als Kostenfaktoren begriffen. Das hat nicht nur mit einem generellen Umdenken zu tun, sondern ist zum Beispiel auch eine ganz konkrete Folge der Einführung der Fallpauschalen. Die Coronakrise hat den Gegnern dieser neoliberalen Entwicklung Aufwind gegeben, viel war zu hören von gesellschaftlicher Verantwortung, einer breiten Krankenhauslandschaft, den Gefahren des Profitdenkens. Nur: Global geht der Trend weiter in Richtung Privatisierung. Amazon, Google, Facebook und Apple sind schon längst in den Gesundheitsmarkt eingestiegen, betreiben Kliniken, entwickeln Seuchen-Apps, sammeln Gesundheitsdaten von ambulanten Patienten etc. (Joseph Vogl, Kapital und Ressentiment). Natürlich ist die Privatisierung im Gesundheitswesen ein Riesenthema für sich. Ich schneide das hier nur an, weil ich denke, dass man das im Hinterkopf haben muss, wenn über Automatisierung in der Pflege gesprochen wird.

Denn dass es um nackte Zahlen geht, das macht Professor Hadek in seinem Artikel sehr deutlich, er spricht von notwendigen „Kosten-Nutzen-Überlegungen“. Einerseits seien Roboter teuer. Andererseits hätten sie bedeutende Vorteile: kein Gehalt, kein Urlaub, keine Krankheitsausfälle, keine Sozialabgaben, keine Begrenzung auf einen 8-Stunden-Tag, kein Wochenende, keine Feiertage, keine Müdigkeit, keine Stressanfälligkeit. Liest man als Pfleger diese Aufzählung, fühlt man sich irgendwie schlecht. Ich übersetze mal: Wir kosten viel Geld, lassen uns leicht stressen, haben ständig frei, werden zu schnell müde und wollen eigentlich gar nicht arbeiten.

Gruselig wird es aber, wenn man sich anschaut, wie diese Roboterzukunft aussehen soll, zum Teil schon heute aussieht. Der Pflegeroboter „Pepper“ kann laut Professor Hadek „emotionale Zuwendung“ geben. Ich wusste bis jetzt nicht, dass die Forschung schon so weit ist – Roboter haben offenbar Gefühle. Damit können sie eingesetzt werden, so heißt es weiter, um zum Beispiel Menschen mit Demenz Unterhaltung zu bieten, Ansprache und Beruhigung. Es gebe Studien, die zum Ergebnis kamen, dass „diese Art von Robotik gut von pflegebedürftigen Menschen akzeptiert wird“. Auch hierzu die kurze Übersetzung: Sehr alte Menschen freuen sich, wenn ein Roboter zu ihnen ins Zimmer rollt, der so programmiert ist, dass er ihnen ein wenig menschliche Wärme vermitteln kann. Was soll man dazu noch sagen? Eigentlich muss man Menschen wie Jan-Marc Hodek dankbar sein, dass sie uns die Zukunft in ihrer grausamen Controller-Logik so unverblümt vor Augen führen.

Vergeblich gesucht: Privatsphäre im Krankenhaus

In meinem Krankenhaus gibt es, glaube ich zumindest, durchschnittlich pro Station eine spanische Wand. Immerhin, diese Sichtschutzvorhänge haben Räder, man kann sie also leicht in jedem Zimmer einsetzen. In Wahrheit verstauben die Dinger aber in irgendeinem Materialraum, in der Ecke hinter Kartons und defekten Rollatoren. Dabei gäbe es reichlich Verwendung für sie.

Vor allem auf einer Station wie meiner, mit vielen pflegebedürftigen Patienten. Menschen, die ohne Hilfe nicht aus dem Bett kommen und dann auch häufig noch unter Inkontinenz leiden. Da werden schmutzige Windeln im Bett gewechselt, unter den Augen der Mitpatienten im Zimmer. Das Komische ist: Den Betroffenen selber scheint das überhaupt nichts auszumachen. Bei vielen wirkt es, als hätten sie ihre Privatsphäre und ihr Schamgefühl abgegeben, als sie das Haus betraten – oder hineingeschoben wurden. Klar, es gibt auch welche, denen es unangenehm ist, wenn sie sich in die Hose gemacht habe und Hilfe brauchen, und die das auch sagen. Aber solche Äußerungen höre ich selten.

Woran das liegt? Schwer zu sagen. Generell ist das Krankenhaus kein sehr privater Ort. Das geht schon bei der Visite los. Besucher von Mitpatienten werden zwar aus dem Zimmer gebeten. Aber die Zimmergenossen hören natürlich alles. Und das gilt auch für Gespräche, in denen Ärzte schwerwiegende Diagnosen mitteilen. Ich habe selber die Erfahrung noch nicht gemacht, als Patient im Krankenhaus zu liegen. Ich könnte mir denken, dass aufgrund der besonderen Situation – die Enge, die Krise einer Krankheit, Ängste – sehr schnell eine gewisse Distanz verloren geht. Oft beobachte ich, dass Patienten sich schnell anfreunden, sich helfen. Andere blaffen sich nach kurzer Zeit an wie alte Ehepaare.

Zwischen den Bettlägerigen und den Mobilen gibt es noch eine große Gruppe von stark Eingeschränkten. Wer dazu in der Lage ist und sich rechtzeitig meldet, wird auf einen WC-Stuhl gesetzt. Da die Stühle Rollen haben, bieten sie die Chance, ins Bad gefahren zu werden und dort für sich zu sein. Aber das passiert häufig nicht. Das liegt nicht nur daran, dass Pfleger nicht darauf achten. Erst vor ein paar Tagen habe ich einer alten Dame, die schon ein paar Tage bei uns war, auf den Toilettenstuhl geholfen und ihr angeboten, sie ins Bad zu bringen. Das wollte sie aber nicht, sie sitze gut. Obwohl ihre Mitpatientin gerade Besuch von ihrer Tochter hatte.

Soll man das den Leuten vorwerfen? Viele kommen aus Heimen oder haben zu Hause ambulante Hilfe. Sie sind es gewohnt, dass Ihnen fremde Menschen sehr nahe kommen. Aber was könnten die Kliniken tun, um ihre Patienten besser zu schützen? Sichtschutz zwischen allen Betten – auf Überwachungsstationen ist das die Regel. Der Grund: Es gibt dort keine Trennung zwischen Männer- und Frauenzimmern. Aber was spricht dagegen, solche Lösungen auf allen Stationen zu installieren? Ähnlich wie Duschvorhänge, die man mit einem Handgriff auf- oder zuziehen kann. Die Kosten wären sicher überschaubar. Und bestimmt würden viele Patienten darin auch die Botschaft erkennen, dass sich jemand Gedanken über den Schutz ihrer Privatsphäre macht.